Das Böse trägt Rot
Leseprobe
Prolog
Fürstin Marie Luise regierte ihr Volk kaltherzig, respektlos und mit eiserner Hand. Sie war das Gegenteil ihrer Vorgänger, welche von der Dorfgemeinschaft nicht geliebt oder verehrt wurden, jedoch respektiert, weil die Steuern gerecht und ihre Mägen ausreichend gefüllt waren. Marie Luise hingegen war es egal, ob die Bürger Nahrung, Kleidung, Arbeit oder ein Dach über dem Kopf hatten. Sie interessierte sich nur für die Steuereinnahmen, welche sie Monat für Monat erhöhte und pünktlich am Ersten von der Stadtwache eintreiben ließ. Wer nicht zahlen konnte, wurde für einen Monat in den Kerker geworfen. Es sollte sie lehren, ihre Steuern pünktlich zur Hand zu haben. So kam es, dass ihr Volk an Wohlstand verlor und auf den Ruin zusteuerte.
Ungeachtet der Sorgen und Nöte ihrer Bürger, drohender Verarmung, gab sie dem Kirchengemeinderat regelmäßig große Geldsummen aus den Steuereinnahmen, nur um sich die Macht in Willensbach auf Lebenszeit zu sichern.
Obwohl die Dorfgemeinschaft davon wusste, traute sich trotzdem niemand, ihr nicht den größten Respekt zu erweisen, denn Anstiftern, welche zum Ungehorsam aufriefen, drohte je nach Laune der Fürstin die Peitsche oder der Galgen.
Obwohl sich die Fürstin kaum in Willensbach zeigte, fürchteten trotzdem alle, wenn sie mal kam, ihr Erscheinungsbild. Ihre barocke Figur, die zerrupft feuerroten Haare, welche sie mit abgenagten Hühnerknochen hochgesteckt trug, erschreckte die Dorfbewohner immer wieder aufs neue. Sogar die Kleidung und Schuhe waren auf ihre Haarfarbe abgestimmt, weshalb sie von den Menschen hinter verschlossenen Türen als blutsaugende Hexe bezeichnet wurde.
Seit dem Tod des Fürsten Karl Josef, welcher wegen zahlreicher Kriegsverletzungen sein Dasein nur noch bettlägrig verbrachte, ging in der Dorfgemeinschaft ein schreckliches Gerücht um, Marie Luise habe seinem Leid ein Ende gesetzt. Kardinal Eckwald und der ehrwürdige Bischof Ellendorf, sie wurden verdächtigt, an der angeblichen Bluttat beteiligt gewesen zu sein. Der Fürst wurde nicht wie üblich öffentlich aufgebahrt, sondern nachts im Beisein der Witwe und des Kardinals im Wald beerdigt. Der Leichnam stellte ein hohes Seuchenrisiko dar, weswegen er weit entfernt vom Dorf unter Ausschluss der Öffentlichkeit beigesetzt werden musste, um die Bevölkerung vor Tod und Elend zu schützen. Mit dieser Erklärung musste sich das Volk begnügen.
Als ob diese Anschuldigungen nicht genug wären, wurden Kardinal Eckwald und Bischof Ellendorf des Weiteren beschuldigt, regelmäßig an satanischen Orgien teilzunehmen. Gerüchten zufolge sollen diese seit dem Tod des Fürsten am Ersten eines jeden Monats im Schloss stattfinden. Selbst der ehrwürdige Herr Pfarrer kam nicht ungeschoren davon, ihm warfen die Dorfbewohner nach jeder Sonntagspredigt Unzucht mit der Zofe der Fürstin vor. Natürlich gab es für diese Behauptungen keine Beweise. Nur Gerüchte, die sich in der Dorfgemeinschaft hartnäckig hielten. Auch wenn sich niemand traute, es öffentlich auszusprechen, so war dem Bürgermeister bewusst, dass die Dorfgemeinschaft die Amtsenthebung der beiden Herrschaften und die Hinrichtung der Fürstin wünschte. Deshalb beschloss der gerechtigkeitsliebende Bürgermeister der Gemeinde Willensbach vom Fürstentum Kreuzburg, den Gerüchten nachzugehen, um den Dorffrieden wiederherzustellen. Aber wie sollte er die Wahrheit herausfinden?
Doch nach fast zwei Jahren des Nichtstuns war es an der Zeit zu handeln.
Sich heimlich ins Schloss zu schleichen, um sich unbemerkt umzuhören, war völlig ausgeschlossen.
Als hätte es ihm jemand zugeflüstert, erinnerte er sich plötzlich an die Schwester seiner Magd.
Berta, eine Sünderin, die vom Weg des Herrn abgekommen ist. Wäre es möglich, sie als Späherin ins Schloss zu schmuggeln? Vielleicht als Gehilfe der Zofe der Fürstin, denn so wäre es ihr möglich Beweise, sollte es sie tatsächlich geben, gleich an Ort und Stelle zu sammeln. Mit ihrer Hilfe könnte es vielleicht gelingen, ein für alle Mal Licht in diese heikle Angelegenheit zu bringen.
Der Plan war geschmiedet. Jetzt hoffte er alles so schnell und diskret wie möglich zu regeln, mehr konnte er beim besten Willen für das nach Gerechtigkeit trachtende Volk nicht tun. Doch die Sache hatte einen Haken, Kirchenmitglieder und Fürsten wurden von der Justiz geschützt und durften nicht angeklagt werden. Das war Gesetz. Trotz bestehender Gesetzeslage war Bertram fest entschlossen zu handeln. Ein einziger handfester Beweis für eine Straftat würde ausreichen, um die Fürstin, sowie den Bischof und den Kardinal vor aller Augen hinzurichten. Doch es bedurfte einer gut durchdachten List, um sie zeitgleich aus den Ämtern zu jagen, bevor andere Fürsten ihnen zu Hilfe eilen konnten. Daher mussten die Hinrichtungen umgehend nach der Urteilsverkündigung stattfinden.
Vor
seinem geistigen Auge sah er die jubelnde Menge, die der Hinrichtung
auf dem Marktplatz zusah. Doch
er wusste, sollte ihm auch nur ein einziger noch so winziger Fehler
unterlaufen, die Amtsenthebungen misslingen,
so würde er auf der Stelle
von einem Soldaten der Stadtwache enthauptet.
Er war sich bewusst, dass er sein Leben riskierte, trotzdem war er
fest entschlossen, sein Volk in eine gerechte Zukunft zu führen.
Aber diese große Tat erforderte mehr als nur die Unterstützung von
Berta, daher war es wichtig, sich nach zuverlässigen und mutigen
Verbündeten umzusehen. ...
Kapitel 2
In der Dämmerung im Schaukelstuhl vor dem Fenster sitzend, welche das Dorf in goldenen Glanz hüllte, dachte Bertram wie so oft an einen Erben für das ihm heilige Buch nach.
Katharina, die Tochter des Bäckers, die er vor 20 Jahren geheiratet hatte, wurde viel zu früh von dieser Welt abberufen. Katharina hatte nicht genug Zeit, um Bertram einen Erben zu schenken.
Niemand, den er kannte, war als Erbe geeignet.
Wer würde dieser Schrift glauben?
Der Bürgermeister wusste, dass ein Erbe eine schwere Last auf seinen Schultern tragen würde.
Wer würde sich als Erbe eignen?
Bertram sah es als seine Pflicht an, dieses Wissen niemals in Vergessenheit geraten zu lassen, auch wenn er an der Richtigkeit zweifelte. Er beschloss, den Inhalt des Buches zu studieren, bis er alles verstanden hatte. Besonders interessierten ihn die tödlichen B-Bakterien, aber auch Fahrzeuge, die sich ohne Pferde fortbewegten. Er war überzeugt, dass dieses Wissen der Menschheit eines Tages gut dienen würde.
Während Bertram grübelnd aus dem Fenster starrte, ging Anna, seine Magd vorbei und winkte ihm zu. Plötzlich erschien ein helles Licht über ihrem Kopf. Anna winkte noch einmal und ging ihres Weges.
Es gab keinen Zweifel. Dies war ein Zeichen von Gott. Anna wurde von Gott selbst zur Erbin auserwählt und Berta, ihre Schwester, die Sünderin, sollte ihm als Helferin bei der Aufklärung der Gerüchte dienen. So hatte Gott entschieden, so sollte es sein, da war er sich sicher.
Erleichtert, dass sein Plan gut durchdacht war, erhob er sich von seinem Schaukelstuhl und verließ das Haus, um Anna zu sich zu rufen. Nachdem sie ihm erklärt hatte, dass sie schnell zum Bäcker gehen müsse, beschloss der Bürgermeister, im Haus auf sie zu warten.
Im Wohnzimmer auf Anna wartend, kam ihm der Gedanke, dass es sofort einen weiteren Erben geben würde, wenn er sie ehelichte. Er müsste nur um ihre Hand anhalten. Den Aufstieg vom Dienstmädchen zur Ehefrau eines Bürgermeisters, dachte er, würde sie nicht ablehnen. Auch darüber war er sich sicher.
Bertram sah sich im Wohnzimmer um und bemerkte, dass die Wände einen neuen Anstrich vertragen könnten. Auch wenn ihm das laute Knarren des Holzbodens unter seinen schweren Lederstiefeln gefiel, war es an der Zeit, auch diesen zu ersetzen. Das fast 150 Jahre alte Haus ist seit dem Tod seiner geliebten Frau ebenso wie die Einrichtung einfach dem Verfall preisgegeben. Selbst Annas Putzkünste konnten dem Haus keinen Glanz mehr verleihen.
Anna war bislang der einzige Glanz in diesem Haus. Ihre blonden Haare, wie ihr jugendlich frischer Körper, die zarten Rundungen, ihre ****, die sich deutlich unter ihrem Kleid abzeichneten, erweckten nicht nur den Geist und die Sinne des Bürgermeisters.
Anna bemerkte oft die offensichtliche Verlegenheit, aber sie bewahrte immer die Fassung und tat so, als gäbe es nichts zu sehen.
10 Jahre stand Anna im Dienst des Bürgermeisters und obwohl es sein Recht gewesen wäre, sie nachts in ihrem Schlafzimmer zu besuchen, verzichtete er darauf, um ihre Jungfräulichkeit zu bewahren. Bertrams Berechnungen nach, war Anna 29 Jahre alt und dank seiner Zurückhaltung, stand einer Heirat nichts mehr im Wege, denn nur eine keusch lebende Magd, durfte ihren Herrn heiraten.
Anna betrat das Wohnzimmer, aber statt eines Knickses, wie es bei niederen Dienstboten üblich gewesen wäre, verneigte sie sich vor Bertram wie Zunftangehörige. Ohne sie zu tadeln, bat er sie, sich auf einen der sechs Holzstühle zu setzen, die um den runden Eichentisch standen. Sie setzte sich, zog ihre Röcke ein wenig hoch und schlug ihre langen, schlanken Beine übereinander. Sie saß kerzengerade, die Hände mit der Handfläche auf dem Tisch vor der Petroleumlampe liegend, wartete sie auf weitere Anweisungen.